Schulung der Körperwahrnehmung

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Was ist Körperwahrnehmung?

Körperwahrnehmung ist das Empfinden des eigenen Körpers und seiner Bedürfnisse. Die Fähigkeit der Wahrnehmung umfasst neben emotionalen und geistigen Zuständen auch Bewegungen des Körpers oder einzelner Körperteile sowie Körperhaltungen, Bewegungsgeschwindigkeiten und Muskelspannungen. Dabei geht es nicht nur darum, Signale, die der Körper sendet, wahrzunehmen, sondern zu ergründen, woher sie kommen und was sie bedeuten. So kann zum Beispiel die Nackenverspannung nach mehreren Stunden Schreibtischarbeit das Bedürfnis des Körpers nach Bewegung und Entspannung widerspiegeln. Im Alltag wird das Körperempfinden jedoch häufig ignoriert, wir bleiben sitzen und arbeiten weiter. Anfänglich sind wir uns dem noch bewusst, mit der Zeit verlieren wir unser Körperbewusstsein.

Wahrnehmung durch Bewegung

Die Körperwahrnehmung entwickelt sich aus dem Erleben des eigenen Körpers. Körperbewegungen und sensorische Wahrnehmungen bilden die Basis. Kindern lernen ihren Körper u. a. durch Gruppenspiele kennen. Untereinander testen sie ihre Kraft, Schnelligkeit oder Balance aus und spüren dabei auch ihre Grenzen. Was wir als Kind erlernt haben, bleibt im Erwachsenenalter aber nur bedingt erhalten. Unsere bewegungsarme moderne Lebensweise fördert nicht nur Krankheitsrisiken, sie lässt uns durch fehlende Reize das Gefühl für den Körper verlieren.

Beispiele aus dem Arbeitsalltag und der Freizeit gibt es viele: Berufsbedingt führen wir monotone Bewegungen aus und nehmen bestimmte Körperhaltungen ein. Beim Arbeiten am PC werden Kopf und Schultern nach vorn gezogen, der Rücken wird gerundet. Beim Stehen werden die Knie durchgedrückt, das Becken kippt nach vorn und der untere Rücken fällt ins Hohlkreuz. Auch außerhalb der Arbeit nehmen wir durch Gewohnheiten bestimmte Haltungen ein. Bei der Nutzung von Smartphone oder Tablet wird der Kopf nach vorn geneigt oder die Halswirbelsäule überstreckt.

Die Muskulatur muss sich den Haltungen und Bewegungen anpassen. Bestimmte Muskeln werden stärker beansprucht, während andere verkümmern. Der muskuläre Spannungszustand zwischen funktionell gegenüberliegenden Muskeln ist gestört.

Häufig betroffen sind u. a. der obere Rücken und die Brustmuskulatur, die Schulter- und Brustmuskulatur, der untere Rücken und die Bauchmuskulatur sowie Oberschenkelrückseiten und Hüftbeuger. Es entwickeln sich muskuläre Dysbalancen, die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen nach sich ziehen und die Lebensqualität mindern. Problematisch ist, dass wir Schmerzen, Verspannungen und Bewegungseinschränkungen spüren, jedoch mögliche Ursachen nicht erkennen.

Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten erkennen

Um Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten zu ändern, müssen wir uns erst in die Lage versetzen, sie zu erkennen. Wie wir uns bewegen, den Kopf halten, die Schultern und das Becken positionieren, stehen und laufen beeinflusst unsere Körperhaltung. Über einen längeren Zeitraum gewöhnen wir uns aber auch an falsche Haltungen und Bewegungsmuster und interpretieren diese dann als normal. Wir sind uns nicht mehr bewusst, was wir falsch machen. Mit Hilfe eines Spiegels können wir uns selbst begutachten. Machen Sie den Selbsttest:

  • Ziehe ich die Schultern nach vorn oder nach oben?
  • Wie halte ich im Stand die Arme, sind diese innenrotiert?
  • Halte ich den Kopf gerade oder schief und wird der Kopf vorgestreckt?
  • Kippe ich das Becken nach vorn und bildet der untere Rücken ein Hohlkreuz?
  • Ist die Wirbelsäule gestreckt oder der obere Rücken übermäßig gerundet?
  • Ist eine Fehlstellung der Beinachsen im Kniegelenk, also ein X- oder O-Bein, sichtbar?
  • Drücke ich im Stehen die Knie durch?
  • Wie haben die Füße Bodenkontakt?

Verbringen Sie den Großteil Ihres Alltags im Sitzen oder Stehen? Versuchen Sie herauszufinden, wie lange Sie in der gleichen Position verharren, über welchen Zeitraum Sie gleiche Bewegungen ausführen oder Rotationsbewegungen nur in eine Richtung machen.

Individuelles Training gegen Fehlhaltungen

Erkennen Sie Haltungsschwächen oder Fehlhaltungen und konnten Sie analysieren, welche Körperbereiche betroffen sind? In diesem Fall kann ein individuell angepasstes Training unter anderem das muskuläre Gleichgewicht wiederherstellen, Verspannungen lösen, vorhandene Schmerzen lindern oder die Beweglichkeit verbessern. Vorab sollten Sie einen Physiotherapeuten oder Personaltrainer zu Rate ziehen oder einen angeleiteten (lizensierten) Kurs besuchen, um sich das entsprechende Trainingswissen anzueignen.

Fällt es Ihnen schwer, Muskelspannungen zu erfassen und Ihre Körperhaltung einzuschätzen, ist es zunächst notwendig, die Eigenwahrwahrnehmung zu fördern.

Übungen zur Körperwahrnehmung

Es gibt viele Techniken und Übungen, die sich eignen, um die Körperwahrnehmung zu schulen. Neben Entspannungstechniken wie Autogenes Training, bewusstes Atmen oder Progressive Muskelentspannung bieten sich auch Dehnübungen, Yoga und meditative Bewegungsformen wie Tai-Chi und Qigong an. Aber auch Übungen im Einbeinstand, der Standwaage oder Kraftübungen wie die Plank sind hervorragend geeignet, ein besseres Körperbewusstsein zu entwickeln. Je nach Fitnesslevel wählen Sie die für Sie passenden Übungen aus den folgenden Beispielen.

Nacken strecken

Nacken strecken

In Rückenlage winkeln Sie die Beine an und stellen die Füße hüftbreit nebeneinander auf. Die gestreckten Arme liegen seitlich am Rumpf, die Handflächen zeigen zum Boden. Beim Einatmen drücken Sie die Halswirbelsäule in Richtung Boden, indem Sie Ihr Kinn in Richtung Brustbein ziehen, bis ein Doppelkinn entsteht. Beim Ausatmen lösen Sie die Spannung und bewegen den Kopf zurück zur Ausgangsposition.

Führen Sie die Nackenstreckung im Rhythmus der Atmung mindestens 6 bis 10 Mal aus. Spüren Sie die Streckung des Nackens beim Einatmen und die Rollbewegung des Kopfes bei der Ausatmung.
Bei Nackenbeschwerden besprechen Sie die Übung vor Ausführung mit Ihrem Arzt oder Therapeuten.

Übung Becken aufrichten

Becken aufrichten

In Rückenlage winkeln Sie die Beine an und stellen die Füße hüftbreit nebeneinander auf. Sie winkeln die Arme an, greifen mit den Fingern ineinander und legen die Hände unter dem Kopf ab. Beim Ausatmen spannen Sie die Bauch- und Gesäßmuskulatur an und richten das Becken auf, indem Sie das Gesäß zum Bauchnabel ziehen und die Lendenwirbelsäule in Richtung Boden drücken. Beim Einatmen entspannen Sie die Bauchmuskulatur, die Lendenwirbelsäule löst sich vom Boden und nimmt ihre natürliche Krümmung (Lordose) ein. Es entsteht ein Hohlraum zwischen unterem Rücken und dem Boden. Dann wieder ausatmen, Becken aufrichten, Lendenwirbelsäule zum Boden drücken usw.

Führen Sie die Beckenaufrichtung im Rhythmus der Atmung ca. 8 bis 12 Mal aus, ohne das Gesäß vom Boden zu lösen.
Zur Intensivierung der Übung drücken Sie mit der Beckenaufrichtung die Oberarme und Ellenbogen in den Boden.

Schulterblätter zusammenziehen

Schulterblätter zusammenziehen

Im schulterbreiten Stand heben Sie die Arme auf Schulterhöhe an und beugen die Ellenbogen um 90 Grad. Sie richten den Brustkorb auf und strecken die Wirbelsäule, der Blick ist gerade nach vorn gerichtet. Nun ziehen Sie die Schultern nach hinten unten und gleichzeitig die Schulterblätter zusammen. Sie senken die Ellenbogen etwas ab. Halten Sie einige Sekunden die Spannung. Dann entspannen Sie Rücken und Schultern und schütteln die Arme aus.

Wiederholen Sie die Übung 5 Mal. Vermeiden Sie es, in ein Hohlkreuz auszuweichen oder den Kopf nach vorn zu schieben. Der Bewegungsimpuls kommt aus den Schultern und nicht von den Armen.

Arme versetzt kreisen

Arme versetzt kreisen

Im aufrechten schulterbreiten Stand strecken Sie einen Arm über den Kopf nach oben, während der andere Arm seitlich zum Boden gestreckt wird. Die Handflächen zeigen zum Körper, die Bauchmuskulatur ist aktiv. Dann kreisen Sie beide Arme gleichzeitig nach vorn und halten dabei die Arme gestreckt. Der Rumpf bleibt möglichst stabil, die Körpermitte ist durchgehend angespannt. Nach 6 bis 8 Kreisbewegungen vorwärts kreisen Sie die Arme versetzt rückwärts.

Führen Sie die Kreisbewegungen im größtmöglichen Radius mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit aus. Wiederholen Sie das Armkreisen 3 Mal. Bei guter Körperspannung nutzen Sie das Gewicht der Arme als Schwungmasse.

Ballenstand

Ballenstand

Im aufrechten hüftbreiten Stand sind die Knie leicht gebeugt. Sie strecken die Arme zum Boden und drehen die Handflächen nach außen. Sie strecken den Oberkörper, ziehen die Schultern nach hinten, richten das Becken auf und spannen die Bauchmuskulatur an.  Beim Ausatmen heben Sie die Fersen vom Boden ab und nehmen den Ballenstand ein. Zeitgleich führen Sie die Arme gestreckt über die Seiten nach oben. Beim Einatmen senken Sie die Fersen wieder ab und führen die Arme zurück zur Startposition.

Führen Sie 8 bis 12 Wiederholungen im Takt der Atemzüge aus.

Schräge Standwaage

Schräge Standwaage

Im hüftbreiten Stand führen Sie mit dem linken Fuß einen kleinen Ausfallschritt nach hinten aus und spannen die Rumpfmuskulatur an. Dann senken Sie den Oberkörper um ca. 45 Grad nach vorn ab, heben gleichzeitig die Arme in Verlängerung zum Oberkörper an und bewegen das linke Bein nach hinten und oben. Arme, Oberkörper und das hintere Bein bilden eine gerade abfallende Linie. Das Standbein ist leicht gebeugt, die Hüften bleiben möglichst parallel, die Bauchmuskulatur ist angespannt. Halten Sie die Position einige Sekunden, dann bewegen Sie sich zurück zur Startposition und wechseln die Seite.

Führen Sie 3 bis 5 Wiederholungen pro Beinseite aus. Spüren Sie die Körperspannung und atmen Sie in der Standwaage möglichst gleichmäßig ein und aus.

Standwaage

Standwaage

Können Sie in der schrägen Standwaage stabil stehen, dann versuchen Sie den Oberkörper bis in die Waagerechte abzusenken. Gleichzeitig wird das hintere Bein in Verlängerung zum Oberkörper ausgestreckt. Das Standbein bleibt im Kniegelenk leicht angewinkelt, die Hüften zeigen parallel zum Boden, die Wirbelsäule bleibt gerade, der Bauchnabel zieht nach innen.
Wichtiger als die waagerechte Position ist ein stabiler Stand!
Sie vereinfachen die Übung etwas, indem Sie die Arme seitlich auf Schulterhöhe ausstrecken.

Planking, Plank, Unterarmstütz

Planking

In der Bauchlage stützen Sie sich auf den Unterarmen ab, positionieren diese parallel zueinander und platzieren die Ellenbogen unter den Schultern. Sie stellen die gestreckten Beine hüftbreit auf die Fußspitzen auf, spannen die Rumpfmuskulatur an und heben den Körper vom Boden ab. Kopf, Nacken, Rücken, Gesäß und Beine sind in einer Linie gestreckt. Der Blick ist leicht schräg nach vorn zum Boden gerichtet. Halten Sie die Plank 15 bis 30 Sekunden.

Spüren Sie die Muskulatur der Körpermitte (Core-Muskulatur), der Hüften und der Schultern sowie deren Spannung. Atmen Sie in der Plank möglichst gleichmäßig ein und aus.

Häufige Fehler:

  • Der untere Rücken fällt ins Hohlkreuz und der obere Rücken wird übermäßig gerundet.
  • Die Hüften sinken Richtung Boden ab oder werden nach oben gestreckt.
  • Der Kopf wird angehoben oder abgesenkt.

Weitere Informationen zum Thema und Übungsbeispiele finden Sie unter Propriozeption.